Wie formale Hierarchien durch temporäre Führung und Eigenverantwortung abgelöst werden

Formale Hierarchie war lange das erfolgreiche Organisationsprinzip schlechthin. Mit der Digitalisierung wird es jedoch hinderlich, weil es dem Tempo des Wandels nicht mehr zu folgen vermag, analysiert der Management-Berater Dr. Felix Frei (Zürich).  In seinem Fachbuch „Hierarchie – Das Ende eines Erfolgsrezepts“ zeichnet er eine Entwicklung vor, die durch Künstliche Intelligenz noch zusätzlich beschleunigt wird:

„Es gibt weiterhin Führung – wahrgenommen als Rolle, die temporär eingenommen wird und nicht an ein Organigramm gebunden ist. Das Gros der Tätigkeiten wird in weitgehender Eigenverantwortung ausgeübt. Aufgaben wechseln. Skills sind ständig weiterzuentwickeln. Flexibilität wird großgeschrieben. Führung ist ein Ausdruck von sozialen Prozessen des temporären Hierarchisierens, welche die Kooperation in wechselnden Netzwerken sicherstellen. Ein Teil der Tätigkeiten bleibt noch für längere Zeit streng tayloristisch organisiert. Die Steuerung erfolgt durch digitale Technik und durch konsequente Prozessorganisation.“

Zu wieviel informeller Führung und Eigenverantwortung sind Beschäftigte fähig? Felix Frei betrachtet als Psychologe die stufenförmige Ich-Entwicklung im Erwachsenenalter und favorisiert als Optimum für den Alltag des Berufskontexts die „eigenbestimmte Stufe“ (6): „Mit dieser entsteht ein Ich, das sich unabhängig von anderen konstruiert. Es ist gekennzeichnet durch selbstevaluierte Standards und Werte, an denen die eigene Verantwortung festgemacht wird. Eine Entscheidung wird nicht getroffen, weil andere Menschen es so wollen, sondern weil man sie selbst als richtig ansieht und fühlt. Ein Mensch auf dieser Stufe erkennt immer mehr Wahl- und Gestaltungsmöglichkeiten und betrachtet Regeln in Bezug auf ihre Angemessenheit. Es werden Motive und andere innere Aspekte bei der Betrachtung von Personen in Rechnung gestellt, was dazu führt, dass man sich selbst und andere vielfältiger beschreiben kann. Eine Person auf dieser Stufe ist daher reflektierend und zur Selbstkritik fähig. Damit gehen ein längerfristiger Zeithorizont, das Bestreben weiterzukommen und ein breiter Blick auf die Welt einher, bei dem das Ich nicht mehr ausschließlich im Zentrum stehen muss.“ Unkonventionelle Entwicklungsstufen, die darüber hinausgehen und selten erreicht werden, können in Einzelfällen in ihrem Umfeld die Enthierarchisierung stimulieren. Den größten Widerstand dagegen erwartet Felix Frei jedoch „von den untersten Hierarchen – eine Stufe über den Nicht-Hierarchen – sowie vom mittleren Management. Man mag dies als pessimistisches Weltbild lesen. Es ist jedoch primär das Resultat ernüchternder Erfahrungen …“

HIERARCHIE
Das Ende eines Erfolgsrezepts
Frei, Felix
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