Berufstätige werden oft zu leicht krank geschrieben

Die Zahl der Krankschreibungen steigt exorbitant: Die DAK registriert inzwischen 20 , das Statistische Bundesamt über 15 Fehltage pro Person und Jahr. Der Arzt und Wirtschaftspsychologe Professor Dr. Michael Kastner kritisiert „Verzerrungen der Grenzen zwischen psychisch krank und gesund“. „Psychische Beeinträchtigungen werden überzeichnet … Beschwerden, die früher als ´normale´ Symptome wie Trauer, Schlaflosigkeit, Unruhe, Substanzmissbrauch und (sexuelle) Funktionsstörungen eher toleriert wurden, werden jetzt als psychische Beeinträchtigungen diagnostiziert, für die es lukrative Psychopharmaka oder Behandlungsverfahren gibt.“

Berufstätige „werden oft zu leicht krank geschrieben, weil Ärzte ihre ´Kunden´ nicht verlieren oder juristische Komplikationen vermeiden wollen,“ schreibt Kastner im Reader „Leistung, Gesundheit und Innovativität im demografischen Wandel“.

Im gleichen Fachbuch analysiert sein Kollege Prof. Dr. Tim Hagemann die immer häufigeren Diagnosen von Depression und Burnout. „Ausufernde Arbeitszeiten und eine hohe Arbeitsdichte sind dabei häufig genannte Ursachen. Bei näherer Betrachtung hält diese Hypothese jedoch kaum stand. Studien zeigen, dass z.B. bei Selbständigen die Zufriedenheit mit zunehmender Arbeitszeit und Arbeitsdichte steigt. Es scheint, dass der sogenannte Workload kein zuverlässiger Prädiktor für Burnout ist. Auch ist ´in Arbeit zu sein´ ein entscheidender Faktor für die psychische Gesundheit. Untersuchungen zeigen, dass die höchsten psychophysiologischen Stresswerte und depressiven Verstimmungen bei arbeitslosen Menschen auftreten.“

Der Grenzbereich zwischen psychischer Gesundheit und Erkrankung lässt sich im Einzelfall schwer bestimmen. Hagemann: Heute können „Niedergeschlagenheit, Antriebsschwäche, Angst, Entscheidungsunfähigkeit häufig  als Kehrseite unserer gesellschaftlichen Entwicklung gesehen werden. Die stetigen Unterbrechungen in unseren Arbeitsflüssen durch eine kommunikative Reizüberflutung mögen ebenfalls ihren Beitrag zu Erschöpfung und Depression liefern. Studien zeigen z.B., dass MitarbeiterInnen an PC-Arbeitsplätzen bis zu 40 mal am Tag ihre E-Mail-Programme aufrufen. Wenn man bedenkt, dass einige Minuten vergehen, um sich wieder in die unterbrochene Tätigkeit einzufinden, schmilzt die effektive Arbeitszeit auf kaum zwei Stunden dahin. Wenn dann MitarbeiterInnen das Gefühl haben, den ganzen Tag zu ´strampeln ´, aber nicht vorwärts zu kommen, kommt dies dem Burnout-Syndrom wohl recht nahe …“

Leistung, Gesundheit und Innovativität im demografischen Wandel
Kastner, M.; Falkenstein, M.; Hinding, B. (Hrsg.)
Pabst, 328 Seiten

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