Arbeitsstress: Entscheidend ist nicht die Belastung, sondern die Passung von Aufgabe und Persönlichkeit
Mehr als sieben Millionen Berufstätige in Deutschland haben „innerlich gekündigt“ und leisten nur noch – oder nicht einmal – das Notwendigste, ermittelt Gallup und schätzt die daraus resultierenden Produktivitätseinbußen allein im Jahr 2023 auf etwa 150 Milliarden Euro. Der Negativ-Trend verstärkt sich seit Jahren in Deutschland stärker als in den Nachbarländern und spiegelt sich in den zunehmenden Fehlzeiten (wegen tatsächlicher oder angeblicher Erkrankung) wider. Die Gallup-Wissenschaftler machen für die Entwicklung in erster Linie Führungsmängel verantwortlich. Ein Kommentator formuliert: „Vorgesetzte verbrennen Geld, wenn sie schlecht führen.“ Dr. Stefan Leidig und Kollegen sehen die Situation differenzierter und liefern konstruktive, konkrete Lösungsansätze in ihrem Reader „Stress im Erwerbsleben: Perspektiven eines integrativen Gesundheitsmanagements“.
Wie komplex die Thematik ist, beschreibt Leidig anhand einer Studie aus der Automobilindustrie: Beschäftigten wurden Aufgaben mit höherem Motivierungspotential zugeteilt – Anforderungsvielfalt, Aufgabengeschlossenheit, Bedeutsamkeit der Aufgabe, Autonomie, Rückmeldung; daraufhin nahmen die Fehlzeiten bei engagierten Arbeitern ab, jedoch bei Unmotivierten weiter zu. Leidig folgert, „dass nicht die Verbesserung von Arbeitsbedingungen im Sinne der Vergrößerung von Motivierungspotentialen und Schaffung von Handlungsspielräumen die Lösung aller Probleme darstellt. Stattdessen scheinen Strategien angemessen, die auf eine Verbesserung der Passung zwischen Personen- und Aufgabenmerkmalen abzielen.“
Leidig zeigt, wie „die Kombination stressrelevanter Faktoren der Arbeitssituation und individuellen maladaptiven Stressverarbeitungsweisen einen großen Erklärungswert für psychische Störungen und Arbeitsunfähigkeitszeiten hat. Demnach kann es hilfreich sein, innerbetrieblich eine ´adaptive´ Prävention zu entwickeln. Das bedeutet, potentielle Stressoren – wie etwa Zeitdruck – nicht zu minimieren, sondern mit Mitarbeitern und Teams individuelle Lösungen zu erarbeiten. Dies setzt eine offene Kommunikationskultur voraus und erfordert, ein Wirtschaftsunternehmen als soziales System zu betrachten …“
Gruppenarbeit zählt häufig zu den riskanten Stressoren. Professorin Dr. Antje Ducki fasst in ihrem Beitrag zum Reader die Voraussetzungen für eine gelungene Teamkooperation zusammen:
- „Eine gut konzipierte Gruppenaufgabe, bei der der Sinnhaftigkeit, dem Ausmaß an Autonomie, den kollektiven Planungserfordernissen und dem Resultatsfeedback besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist
- Eine klare und explizite Festlegung der Aufgaben und Aufgabengrenzen, Vollmachten und ihrer Begrenzungen und der entsprechenden Verantwortlichkeiten
- Organisatorische Rahmenbedingungen, die die Selbstregulation der Gruppe unterstützen, ein Entlohnungssystem, das Gruppenleistung zu identifizieren und zu honorieren erlaubt; ein gruppenbezogenes Ausbildungssystem, ein Informationssystem, das dem Informationsbedarf der Gruppe gerecht wird, materielle Ressourcen wie Ausrüstung, Werkzeuge, Raum, Zeit, finanzielle und personelle Mittel
- Eine gut zusammengesetzte Gruppe, die einen Prozess der Teamentwicklung durchlaufen konnte, und die im Arbeitsalltag vor allem in den Anfangsstadien der Teamentwicklung extern geleitet wird.“
Quelle: https://www.gallup.com/workplace/349484/state-of-the-global-workplace.aspx
Stress im Erwerbsleben: Perspektiven eines integrativen Gesundheitsmanagements
Leidig, S.; Limbacher, K.; Zielke, M. (Hrsg.)
Pabst, 324 Seiten
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