HR-Management: Regeln und Tools statt Verantwortung

„Nach einem langen Kampf um Anerkennung kann die Human Relations-Branche heute auf eine wahre Erfolgsgeschichte zurückblicken. Für sämtliche Aspekte der Personalführung gibt es professionelle Konzepte und Methoden. Kein namhaftes größeres Unternehmen gibt es, das ohne perfekte administrative HR-Prozesse und eine klar formalisierte Personalentwicklung auskommen würde. Wir können ohne große Übertreibung von einer geradezu flächendeckenden Vertoolung der Führungslandschaft durch HR berichten,“ schreibt der Wirtschaftspsychologe Dr. Felix Frei in seiner Monografie „Verantwortung“.

„Der Preis, den die Unternehmen für die Professionalisierung der HR-Arbeit (vor allem in Hinblick auf die Tool-Landschaft) bezahlen, ist vielfältig. Zunächst haben sie sich damit ein Prokrustesbett von Systemen geschaffen. Bevor eine Führungsmaßnahme mit möglichen Konsequenzen etwa für die Lohneinstufung erfolgen kann, muss geprüft werden, ob sie im HR-Modul von SAP auch abbildbar ist. Jedes Bonus- und Leistungslohnsystem hat unübersehbar gewirkt – aber eher häufig pervertiert: Die management attention liegt in der Regel ganz absichtsgemäß wirklich nur noch auf dem Bonuswirksamen – mit Folgen freilich, die oft nicht der ursprünglichen Absicht entsprechen.

HR hat uns einen liturgischen Kalender geschenkt, der von der Zielvereinbarung über die Leistungsbeurteilung und das Mitarbeitergespräch bis zur Lohnfestsetzung alles derart klar reglementiert und zeitlich fixiert, wie das die katholische Kirche mit ihren Feiertagen vorexerziert hat. Nun leuchtet es ja ein, dass nicht jeder Ostern feiern kann, wenn es ihm passt – denn das würde das Schokoladenhasengeschäft doch arg strapazieren. Aber wo steht eigentlich geschrieben, dass man nicht auch unterjährig Ziele definieren oder umdefinieren kann? 

Selbstverständlich ist zu begrüßen, wenn durch diesen liturgischen Kalender die Dinge nicht mehr so leicht untergehen. Und zumindest edel gemeint ist auch die Barriere, die damit weniger fähigen oder willigen Führungskräften vorgeschoben wird. Aber ist es nicht etwas merkwürdig im Erleben einer Führungsbeziehung, wenn der Chef oder die Chefin gewissermaßen einen Wake-up-call aus der HR-Abteilung fürs Loben braucht? Es ist keine bösartige Unterstellung zu behaupten, dass das (halb-)jährliche Mitarbeiter-Gespräch vielerorts an die Stelle von Authentizität und Spontaneität in Sachen Lob und Tadel getreten ist.

Was daraus resultiert, ist eine entpersönlichte Führung: Sachlich – höflich – nüchtern – cool. Nicht einmal einen Wutausbruch des Chefs haben die Mitarbeitenden heutzutage zugute. Und, in unserem Kontext das Fatalste: Weder Führungskräfte noch MitarbeiterInnen haben eine Verantwortung in all diesen Themen. Denn sie sind einzig und allein dem vorgegebenen liturgischen Kalender gegenüber verpflichtet. 

Das spiegelt sich auch bei den MitarbeiterInnen wider: Man fragt nicht danach, wie man sich weiterentwickeln könnte; man fragt nach dem Programm der Firma zur Weiterentwicklung seiner Beschäftigten; da würde man dann gern das Passende wählen …“ 

Verantwortung
Eine Entscheidungsfrage
Frei, Felix
Pabst, 216 Seiten, Hardcover

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